Mahler vs Weber: Streit um 'Wokeness' und 'Cancel Culture' in Games - GamesWirtschaft.de (2024)

Mit einem zugespitzten X-Posting provoziert Studio-Chef Thomas Mahler breiten Widerspruch zur kolportierten ‚Cancel Culture‘ in der Games-Industrie.

Abseits der gewohnten Social-Media-Kontroversen läuft derzeit ein spannender Schlagabtausch im Netz, der aus zwei Gründen bemerkens- und deshalb berichtenswert ist: Einmal, weil führende Branchenköpfe daran beteiligt sind. Und zweitens, weil es ums Eingemachte geht – nämlich, um die Frage, wer aus welchen Gründen auf der ‚richtigen‘ respektive ‚falschen‘ Seite steht.

Auslöser des Streits – soweit sich das überblicken lässt – ist eine Replik auf ein X-Posting von Maurice Weber: Der GameStar-Autor, Streamer und YouTuber, erst vor wenigen Wochen zum ‚Spieler des Jahres‘ beim Deutschen Computerspielpreis gekürt, postete am Montag einen Screenshot aus dem Steam-Kommentar-Bereich zur Action-Rollenspiel-Neuheit Hades 2 von Supergiant Games:

„Der traurigste Teil des modernen Gaming-Diskurses: Bei JEDEM neuen Spiel muss im Steam-Forum erstmal verhandelt werden, ob es denn böse ‚wokeness‘ hat. Hier: Zum genialen Meisterwerk Hades 2. „Leute, ich hab da nen Schwarzen gesehen! Und einen Typ im Rollstuhl! Brauche Input!“

Tags darauf reagierte Thomas Mahler mit einer ausführlichen Antwort, ebenfalls auf X. Mahler ist Gründer und Game Director des preisgekrönten österreichischen, wenngleich dezentral organisierten Spiele-Entwicklers Moon Studios (Ori and the Blind Forest, Ori and the Will of the Wisps, No Rest for the Wicked).

Mahler schreibt: „Macht doch Sinn, Maurice. Ist halt jetzt die Gegenbewegung zu Cancel Culture und Co, weil mittlerweile alle die Nase voll von dem Schwachfug haben. Würde dir auch dazu raten, das Ganze ein bisschen differenzierter zu sehen, vor allem da du dich ja als Journalist profilierst, aber dann halt doch eine ziemlich engstirnige Ansichtsweise an den Tag legst und offenbar nicht für eine Sekunde hinterfragst, was da eigentlich gerade passiert. Und genau das sollte man sich ja gerade von einem Journalisten erwarten können!“

In den nachfolgenden Zeilen dekliniert der Spieldesigner die gängigen Gegenpositionen durch: Wokeness hier – Cancel-Culture dort. Hollywood und die Spiele-Industrie an der US-Westküste hätten sich dafür entschieden, den Kunden in Filmen und Videospielen die eigene politische Meinung aufzuzwingen.

Zum Einsatz kommt auch ein berühmtes Zitat des Pfarrers Martin Niemöller, das die Passivität und Gleichgültigkeit der Bevölkerung während des Holocaust beschreibt („Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Gewerkschaftler holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschaftler. Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“)

Das Posting schließt mit den Worten: „Ich hoffe für dich, dass du in Zukunft ein bisschen kritischer und offener durch die Welt gehen kannst und tatsächlich auch beide Seiten beleuchten wirst, anstatt dich zu einer Seite zu gesellen, um dann deren Propaganda rauszuposaunen.“

Mahler bekommt für seine Sicht zwar Unterstützung, auch von anderen Unternehmern – doch der Gegenwind fällt umso massiver aus. Mittlerweile haben sich weitere prominente Industrielle positioniert und distanziert, darunter Influencer wie HandOfBlood und RobBubble sowie führende Kreative von Publishern, Studios und Veranstaltern.

Philipp Weber, Narrative Director bei CD Projekt Red (The Witcher 3: Wild Hunt), schreibt mit Bezug auf den desaströsen Cyberpunk 2077-Launch seines Studios: „Ich kann mich noch gut daran erinnern, als du vor einer Weile mit großer Freude öffentlich Schmutz über uns ausgekippt hast – also stell bitte sicher, dass du diese Prinzipien, die du anmahnst, auch bei dir selbst anwendest.“

Mahler feuert zurück und nennt die CD-Projekt-Praktiken ’shady‘: „Im Übrigen: Du arbeitest in der AAA-Industrie. Ich glaube, dass du mit dem Feuer spielst, wenn du so etwas öffentlich postest. Du bist nur ein Zahnrad in einem Getriebe, dem du egal bist – also: Sei vorsichtig!“

Mit Blick auf die massiven Vorwürfe hinsichtlich der Mitarbeiterführung bei Moon Studios schreibt Webers Kollege und Level Design Lead Miles Tost: „Auch wenn ich dir im Bezug auf den Journalismus generell zustimme, ist es natürlich leicht als vermeintlicher Täter nach Empathie zu fragen und sich dann zu beschweren, wenn man diese nicht bekommt. Haben da ja beide Erfahrungen. Bei mir war es ein kaputtes Spiel und bei dir …“ – gefolgt von einem Erfahrungsbericht-Tweet einer ehemaligen Moon-Studios-Angestellten.

Mahler spricht wiederum von einer gezielten ‚Schmutzkampagne‘: „Es gibt halt leider viele Leute, die nie selbst in den Spiegel schauen. Immer die Anderen sind die Bösen und es kann ja nicht sein, dass man vielleicht selbst an sich arbeiten müsste.“

Es ist beileibe nicht das erste Mal, dass die Videospiele-Industrie eine Debatte um Wokeness und Cancel-Culture, Diversity und Inklusion, Sagbares und Unsagbares erlebt – inklusive der Frage, inwieweit Künstler und Werk voneinander zu trennen sind und ob man Produkte zweifelhafter Herkunft ‚unterstützen‘ darf. So kam es im Vorfeld des Warner-Action-Rollenspiels Hogwarts Legacy zu Boykott-Aufrufen, weil sich Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling regelmäßig mit heftigen Attacken in der Transgender-Debatte einbringt.

Unabhängig vom weiteren Verlauf der Mahler-Weber-Debatte – eines ist sicher: Fortsetzung folgt.

Anm. d. Red.: Die ursprüngliche Überschrift und auch der Vortext sind dem Kern der Debatte nicht gerecht geworden. Beide Passagen wurden mittlerweile konkretisiert und präzisiert. Im Text wurde zusätzlich der Bericht der Kollegen von Venturebeat vom März 2022 verlinkt, der die Arbeitsbedingungen bei Moon Studios beleuchtet. Herzlichen Dank für die vielen Hinweise und Anmerkungen.

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