Meine fremde Tochter – Kritik zum Film bei Tittelbach.tv (2024)

One, 07.05.2021, 22:20 Uhr - Wiederholung

Götz George, Scheer, Hanemann, Manfred Stelzer. Ende eines Sonnenscheins

Tilmann P. Gangloff
Selten hat eine Geschichte so konsequent kaschiert, dass sie eigentlich ein Krimi ist. „Meine fremde Tochter“ (WDR / Colonia Media Filmproduktion) beginnt als Familiendrama, das unversehens kriminalistische Züge annimmt: Plötzlich wird aus dem Versuch, den Verlust eines geliebten Menschen zu verarbeiten, die Suche nach einem Verbrecher. Vor allem aber ist dies ein Film mit Götz George. Der große Mime hat diversen Werken derart seinen Stempel aufgedrückt, dass die Geschichten dadurch ganz klein wurden. Hier aber nimmt er sich stark zurück und zeigt erst auf diese Weise, was für ein großartiger Schauspieler er ist.

Selten hat eine Geschichte so konsequent kaschiert, dass sie eigentlich ein Krimi ist. „Meine fremde Tochter“ beginnt als Familiendrama, das unversehens kriminalistische Züge annimmt: Plötzlich wird aus dem Versuch, den Verlust eines geliebten Menschen zu verarbeiten, die Suche nach einem Verbrecher. Vor allem aber ist dies ein Film mit Götz George. Der große Mime hat diversen Werken derart seinen Stempel aufgedrückt, dass die Geschichten dadurch ganz klein wurden. Hier aber nimmt er sich stark zurück und zeigt erst auf diese Weise, was für ein großartiger Schauspieler er ist: Es sind vor allem die Nuancen, die den verbitterten, rechthaberischen Vater zu einem zutiefst verletzten liebenswerten älteren Herrn werden lassen. Und Manfred Stelzer, der auch das Drehbuch schrieb (nach einer Idee von Caroline Draber und Wolfgang Klein), beweist nach dem Neonazi-Drama „Brennendes Herz“ (ARD) bereits zum zweiten Mal innerhalb weniger Monaten seine Qualitäten. Der Film beginnt mit einer optischen Dissonanz: Zu hören ist Jazz, zu sehen ist ein Mann mit akkuratem Seitenscheitel, der einem Hammel das Genick bricht. Johann Bergkamp (George) ist pensionierter Verwaltungsbeamter. Zeit seines Lebens, wird er später gestehen, hatte er immer nur mit Zahlen und Fakten zu tun; mit Menschen hat er’s nicht so. Spitz wird ihn eine Kollegin seiner Tochter fragen, ob es ihm nicht peinlich sei, dass er sich bei anderen erkundigen müsse, was sie denn für ein Mensch gewesen sei. Dabei war Sophie (Nora von Waldstätten), Polizistin in Köln, stets Papas Liebling, sein erklärter Sonnenschein. Auch bei ihrer Hochzeit mit einem Immobilienmakler (Dirk Borchardt) übersieht er alle Hinweise auf Sophies Schattenseiten.

Entsprechend ungläubig reagiert Bergkamp nach ihrem Unfalltod auf die unübersehbaren Misstöne in dem Bild, dass er sich von seiner Tochter gemacht hat: Sie hat ihren Job verloren, weil sie bestechlich war; ihr Gatte handelt keineswegs mit Immobilien, sondern ist kriminell; und Svens Mutter, von der Bergkamp bei der Hochzeit so angetan war, ist in Wirklichkeit eine Schauspielerin (Ingeborg Westphal), die für diese Rolle engagiert worden ist. Als der erschütterte Vater dann noch erfährt, dass seine Tochter während ihrer Pubertät über Jahre hinweg missbraucht wurde, ist er überzeugt, sie sei ermordet worden, und will mitten in der Nacht ihren Sarg ausgraben. Vorsorglich alarmiert sein Freund und Nachbar Udo (Michael Hanemann) die Polizei, und plötzlich findet sich Bergkamp in der Psychiatrie wieder. Mit Udos Hilfe kann er fliehen. Er will noch mal mit Sven sprechen, findet jedoch nur dessen Leiche; nun hält man ihn nicht bloß für verrückt, sondern auch noch für einen Mörder.
Parallel zur Geschichte verändert sich Bergkamp, und hier beweist sich Georges ganze Klasse. Selbst wenn das Verhalten des Vaters etwa bei der Hochzeit eine gewisse Unsicherheit andeutet: Auch in seiner Trauer, die er im Schnaps ertränkt, bleibt der Beamte unnahbar. Katalysator für seine Wandlung ist sein Sohn Markus (Alexander Scheer), ein brotloser Künstler, der dem Vater im Gegensatz zu Sophie nie etwas vorgemacht hat und deshalb nie eine Chance hatte. Brutal teilt ihm der Vater mit, Sophie sei „alles, was ich hatte“. Dank Markus’ Gradlinigkeit bricht die Lebenslüge des Vaters aber nach und nach auf, und wie Götz George diese eher spür- als sichtbaren Haarrisse in Bergkamps Fassade spielt, ist großartig.

Gleiches gilt für die Zusammenarbeit mit dem Regisseur. Beispielhaft ist die Szene, an deren Ende Bergkamp mit Sophies Tod konfrontiert wird. Vor ihrem Kölner Wohnhaus umringen Neugierige einen toten Körper. Interessiert wirft Bergkamp einen Blick auf die Szenerie, geht dann in die für eine Party geschmückte Wohnung der Tochter und korrigiert in ignoranter Beharrlichkeit die behutsamen Versuche des Hausmeisters, ihn möglichst schonend über das Schicksal der Tochter zu informieren. Ein großer Film, der das allerdings nie vor sich herträgt.

Tilmann P. Gangloff ist seit 1985 freiberuflicher Fernseh- und Filmkritiker für Tageszeitungen und Fachzeitschriften, seit 1990 regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis sowie Mitglied diverser anderer Fernsehpreisjurys.

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Meine fremde Tochter
WDR / Fernsehfilm / Drama
EA: 28.5.2008, 20.15 Uhr (ARD)
Mit Götz George, Alexander Scheer, Michael Hanemann, Gitta Schweighöfer, Nora von Waldstätten, Ingeborg Westphal, Dirk Borchardt, Lisa Hagmeister
Drehbuch: Manfred Stelzer. Idee: Caroline Draber, Wolfgang Klein
Regie: Manfred Stelzer
Kamera: Alexander Fischerkoesen
Szenenbild: Frank Polosek
Kostüm: Elisabeth Kraus
Schnitt: Bernd Schriever
Musik: Lutz Kerschowski
Produktionsfirma: Colonia Media Filmproduktion GmbH


Bewertung: 5,0 von 6


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